Erste Predigt des Padre (als
Diakon)
am 4. Fastensonntag ("Laetare", Lesejahr B, 13.
3. 1994),
gehalten u. a. in der Pfarre
Rudolfsheim, in der Militärpfarre Wien, in der Malteserkirche
(für den 5. Sonntag nach Pfingsten), in der Wiener Stiftskirche
und in der Heldentorkrypta (für den 15. Sonntag i. J. /
Leserjahr B) sowie in der Pfarre Hütteldorf
Thema: "Da quod iubes et iube quod vis!" (= "Gib, was Du gebietest, und gebiete, was Du willst!", Hl. Augustinus, Confess.) - Predigt im Anschluß an die päpstliche Enzyklika "Veritatis splendor" ("Glanz der Wahrheit", vgl. Nr. 24)
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(Padre
Alex)
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, unserem Erlöser!
Gottes Geschöpfe sind wir, "in Christus Jesus dazu geschaffen, in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott für uns im voraus bereitet hat." (Eph 2,10) Wir sind also berufen, die Wahrheit zu tun. Denn "wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, daß seine Taten in Gott vollbracht sind." (Joh 3,21) So haben wir heute Gottes Wort vernommen nach dem hl. Paulus und dem hl. Johannes. Aber was ist unsere Motivation, die Wahrheit zu erkennen und zu tun? Der Hl. Vater Johannes Paul II. ist im August 1993 in seiner großen Moralenzyklika "Glanz der Wahrheit" (Veritatis splendor) von der Frage des jungen Mannes an Jesus ausgegangen: "Meister, was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?" (Mt 19,16) Eine unausweichliche Frage für jeden Menschen. Und überraschend klar war auch zunächst die Antwort Jesu: "Wenn du ... das Leben erlangen willst, halte die Gebote!" (Mt 19,17) Nicht mehr wie im Alten Bund nur der Besitz eines Landes, in dem das Volk ein Dasein in Freiheit und Gerechtigkeit führen sollte, sondern das Himmelreich, die Teilnahme am Leben Gottes selbst, ist nun die Verheißung der Gebote, vollkommen verwirklicht erst nach dem Tod. In den zehn Weisungen des Bundes mit Israel, die uns letzten Sonntag wieder ins Gedächtnis gerufen wurden, gibt sich Gott nun als der zu erkennen, der "allein gut ist". Aber wenn nur Gott das und der Gute ist, gelingt es keiner menschlichen Anstrengung, auch nicht der strengsten Einhaltung der Gebote, das Gesetz "zu erfüllen", das heißt den Herrn als Gott anzuerkennen und ihm die gebührende, höchste Verehrung zu erweisen (vgl. Mt 4,10; VS 11). Die Erfüllung aller Gebote kann also nur von einem Geschenk Gottes herkommen, vom Geschenk der Teilhabe am göttlichen Gutsein, das sich in Jesus Christus offenbart.
Im Menschen ist zweifellos eine Sehnsucht nach einer Fülle, die über die legalistische Auslegung der Gebote hinausgeht, ja die Sehnsucht nach einem Weg der Vollkommenheit, wie ihn Jesus darüber hinaus anbietet: "Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach" (Mt 19,21) Es handelt sich also bei der christlichen Moral nicht allein darum, auf eine Lehre zu hören und ein Gebot im Gehorsam anzunehmen. Wie Johannes Paul II. sagt, geht es noch mehr und radikal darum, der Person Jesu selbst anzuhangen, sein Leben und Schicksal zu teilen durch Teilnahme an seinem freien und liebenden Gehorsam gegenüber dem Vater. Durch den Glauben wohnt Christus in unseren Herzen (vgl. Eph 3,17) und so werden wir dem Herrn angeglichen und gleichgestaltet. Das ist die Frucht der Gnade, der wirksamen Anwesenheit des Heiligen Geistes in uns (vgl. VS 21). Die Liebe Christi nachzuahmen und nachzuleben, ist dem Menschen also aus eigener Kraft allein nicht möglich. Wir werden zu dieser Liebe fähig kraft einer Gabe, die wir empfangen haben. Diese unauflösliche Verbindung zwischen der Gnade des Herrn und der Freiheit des Menschen, zwischen der Gabe und der Aufgabe hat der hl. Augustinus mit schlichten und tiefen Worten zum Ausdruck gebracht, wenn er betet: "Gib, was Du gebietest, und gebiete, was Du willst!" (Vgl. Confess.; VS 24). Und hier liegt das Besondere der christlichen Moral im Vergleich zum alten Gesetz, im Vergleich zu ideologisch gestützten Lehren, im Vergleich zu einer durchschnittlichen Anständigkeitsmoral, daß nämlich das neue Gesetz, der vollkommene Weg der Gottes- und Nächstenliebe, sich nicht mehr nur begnügt zu sagen, was man tun muß, sondern das neue Gesetz verleiht auch die Kraft, die Wahrheit zu tun! (Vgl. Joh 3,21.)
Trotzdem ist aber heute der Zweifel am engen und untrennbaren Zusammenhang zwischen Glaube und Moral verbreitet, so als würde sich die Zugehörigkeit zur Kirche allein durch den Glauben entscheiden, während man in Sachen Moral einen Pluralismus dulden könnte, je nach Urteil des individuellen Gewissens oder der Verschiedenheit der sozialen Bedingungen (vgl. VS 4). Kein Riß darf aber die christliche Harmonie zwischen Glaube und Leben gefährden: die Einheit der Kirche wird nicht nur von den Christen verletzt, welche Glaubenswahrheiten ablehnen oder verzerren, sondern auch von jenen, die die sittlichen Verpflichtungen verkennen, zu denen sie das Evangelium aufruft (vgl. 1 Kor 5,9 - 13). Es ist nun gerade heute wieder dringend notwendig, das wahre Antlitz des christlichen Glaubens bekannt zu machen; der Glaube ist zuerst eine gelebte Kenntnis von Christus, ein lebendiges Gedächtnis seiner Gebote, eine Wahrheit, die gelebt werden muß. Der Glaube ist also eine Entscheidung, welche die gesamte Existenz in Anspruch nimmt. Er ist Begegnung, Dialog, Liebes- und Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus, dem wahren Gottmenschen.
Durch das sittliche Leben wird nun der Glaube zum "Bekenntnis" vor Gott und vor den Menschen. Und dabei müssen wir eines bedenken: Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe hat in seiner Dynamik keine obere Grenze, wohl aber hat es eine untere Grenze: unterschreitet man diese, verletzt man das Gebot. Es gibt also Verhaltensweisen, die niemals eine angemessene, menschenwürdige Lösung sein können. Man kann zwar gehindert werden, eine gute Handlung zu Ende zu führen; niemals jedoch kann jemand an der Unterlassung bestimmter in sich schlechter Handlungen gehindert werden, vor allem wenn er bereit ist, lieber zu sterben als das Böse zu tun (vgl. VS 52). Die Kirche hat also von Gott her die Verpflichtung, nicht nur positive Gebote mit den Worten "Du sollst ...!", sondern auch Verbote als absolute Grenzpfeiler zur Orientierung zu verkünden. Nicht aus Willkür, sondern weil diese Grenzpfeiler von Gott selbst dem unveränderlichen Wesen des Menschen eingeschaffen wurden. Jesus Christus ist für uns die lebendige Verbindung von vollkommener Freiheit und unbedingtem Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Sicherlich verlangt diese Harmonie mitunter ungewöhnliche Opfer von uns. Die Befolgung des Gesetzes Gottes kann in bestimmten Situationen schwer, sehr schwer sein: niemals jedoch ist sie unmöglich! Dies ist eine beständige Lehre der Tradition der Kirche, wie sie nach dem Konzil von Trient in der neuen Enzyklika "Glanz der Wahrheit" wiederum formuliert wurde (vgl. VS 102). Der Glaubende findet nämlich im rettenden Kreuz Jesu, in der Gabe des Heiligen Geistes, in den Sakramenten, die aus der durchbohrten Seite des Erlösers hervorgehen, die Gnade und die Kraft, das heilige Gesetz Gottes, auch unter den größten Schwierigkeiten, zu befolgen. Und damit, liebe Brüder und Schwestern, sind wir bei einem entscheidenden Punkt angelangt:
Es wäre ein schwerwiegender Irrtum, den Schluß zu ziehen, die kirchliche Norm sei an sich nur ein "Ideal", das an die konkreten Möglichkeiten des Menschen angepaßt, also abgestuft werden müßte. Nein! Heute hat es in der Lesung des hl. Paulus an die Epheser geheißen: "Gott hat uns zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht, uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren." Die guten Werke hat Gott für uns im voraus bereitet. Es geht also um die Wirklichkeit der Erlösung durch Christus. Er hat uns erlöst! Das bedeutet: Er hat uns die Möglichkeit geschenkt, die ganze Wahrheit unseres Seins zu verwirklichen, er hat unsere Freiheit von der Herrschaft der Begierde befreit. Und auch wenn der erlöste Mensch noch sündigt, so ist das nicht der Unvollkommenheit der Erlösungstat Christi anzulasten, sondern dem Willen des Menschen, der sich der Gnade des geöffneten Herzens Jesu entzieht. Das Gebot Gottes ist sicher den Fähigkeiten des Menschen angemessen, aber jenes Menschen, dem der Heilige Geist in Taufe und Firmung geschenkt wurde; jenes Menschen, der im Bußsakrament Vergebung erlangen und sich der Gegenwart des Geistes erfreuen kann.
Während es nun menschlich ist, daß der Mensch, nachdem er gesündigt hat, seine Schwäche erkennt und wegen seiner Schuld um Erbarmen bittet, ist hingegen die Haltung eines Menschen unannehmbar, der seine Schwäche zum Maßstab der Wahrheit vom Guten macht, um sich von allein gerechtfertigt zu fühlen, ohne Hinwendung zu Gott und seiner Barmherzigkeit. Eine solche Haltung verdirbt im übrigen die Sittlichkeit der gesamten Gesellschaft. Das sittliche Leben besitzt schließlich die Würde eines "Gottesdienstes", wie Papst Johannes Paul schreibt. Bedenken wir dies heute am Sonntag, da wir am Kreuzesopfer teilnehmen, da wir nun in der hl. Messe wieder mit der Opferliebe Christi Gemeinschaft haben dürfen. So werden wir nämlich befähigt und verpflichtet, dieselbe Liebe in allen Lebensbereichen zu verwirklichen. Auch deshalb ist die hl. Messe so wichtig. "Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen/eingeborenen Sohn dahingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat." (Joh 3,16) Den überfließenden Reichtum seiner Gnade hat Gott der Kirche vor allem im Garantiebereich der Sakramente anvertraut. Die christliche Moral besteht also, um es mit der Schlichtheit des Evangeliums zu sagen, darin, Jesus Christus zu folgen, sich ihm zu überlassen, sich von seiner Gnade verwandeln und von seiner Barmherzigkeit in seiner Kirche erneuern zu lassen. Entgegen dem Anschein des Komplizierten und Kaum-Praktizierbaren ist die christliche Moral einfach: Wer Christus liebt, hält seine Gebote, natürlich in der Verpflichtung, sich der ganzen komplexen Wirklichkeit zu stellen. Wir sehen gerade in der Fastenzeit klarer, daß den Menschen keine Lossprechung durch gefällige Lehren wahrhaft glücklich machen kann. Allein das Kreuz und die Herrlichkeit des auferstandenen Christus vermögen unserem Gewissen Frieden und unserem Leben Rettung zu schenken. Freuen wir uns also, daß die Feier unserer Erlösung schon wieder naht, Ostern strahlt schon herein, die Opfer lohnen sich. Der heutige vierte Fastensonntag steht ja unter dem alten Motto "Freue dich, Stadt Jerusalem". Freue dich, Kirche Gottes, du neues Jerusalem. Freut euch alle, die ihr Kirche seid. Freut euch über eure gute Mutter, die Kirche, die Säule und das Fundament der Wahrheit, die uns nicht nur sichere sittliche Lebensweisung schenkt, sondern auch die Mittel für uns bekommen hat, damit wir nicht der Finsternis anheimfallen, sondern das Licht lieben, damit wir auch wirklich den vorbereiteten Platz im Himmel erhalten. AMEN.
Du verstehst etwas nicht, Du hast eine konkrete Frage oder Kritik? Dann nichts wie auf, direkt zum Padre, am besten gleich per eMail oder mittels Formular.
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